"j": start of construction 1975, finished 1976 … and still running

verreckt am Straßenrand

17.11., 18.11.
Ich verlasse Valparaiso und fahre auf kleineren Straßen ein wenig durch die Weingegend, mal on- mal off-road. Die Nacht verbringe ich in dem kleinen Städtchen Santa Cruz.

Auf der Suche nach einer Unterkunft habe ich im Reiseführer von der LamaLodge gelesen, die von einem Österreichisch-Deutschen Gespann geführt wird – oder auch nicht. Sie soll etwa 100km östlich von Talca mitten im Wald liegen.
Die Beschreibung auf der Homepage ist etwas dürftig: „Ungefähr 90km nach Talca überquerst du die Brücke ‚Curillinque‘. 100m nach dieser Brücke biegst du rechts ab und folgst der Straße für 16km. 4WD empfohlen, die Straße ist oft in schlechtem Zustand.“ Nun denn, die Beschreibung stimmt nicht ganz. 100m nach der Brücke ‚Curillinque‘ gibt es keine Abzweigung. Die gibt es erst 100m nach der nächsten Brücke. Eine Lodge ist nicht angeschrieben. Ich fahre die Schotterstraße entlang. Ein Kräter ist dabei sie umzupflügen, aber statt besser wird es nur schlechter.
Kaum zu glauben, nach 16km gibt es mitten in der Pampa tatsächlich eine LamaLodge, auch Lamas sind da, nur sonst niemand. Einfach so auftauchen ist wohl nicht. Also fahre ich wieder auf die Hauptstraße zurück. Wie ich später rausfinde, wollte ich hier eigentlich gar nicht hin. Hier ist einfach nur eine Berghütte die auch zum Hostel gehört. Das Hostel ist komplett woanders nur wenige km von Talca entfernt.
Ich habe keine Lust nach Talca zurückzufahren und dort nach einer Unterkunft zu suchen. Zur Sicherheit habe ich bei der Herfahrt schon die Augen offen gehalten. Entlang der Straße gibt es eine Raststation mit einem kleinen Shop, einem Restaurant und ein paar Cabanas.
Ich halte und frage was die Nacht kostet. Die Dame überlegt lange. „Wie viel kann ich wohl verlangen, damit er nicht weiterfährt?“ 8.000 CLP / 12 EUR. Das geht in Ordnung. Einzelzimmer, Badezimmer, wenn auch nur Kaltwasser und Kabelfernsehen.

19.11.,20.11.
Ich nehme ein sehr schnelle kalte Dusche und bin um 8:00 bereit abzufahren. Ich steige auf das Motorrad und betätige den Startknopf … nichts passiert. Was ist los? Die Nacht war kalt, wahrscheinlich hat die Batterie etwas abgekommen. Ich schiebe das Motorrad in die Sonne und warte. Vielleicht hilft etwas Wärme. Leider Nein. Ich nehme die Verkleidung ab und kontrolliere Wasser und Kontakte. Hilft alles nichts. Nicht mal ein klägliches klackern, wenn ich den Startschalter betätige.

Schon in einem meiner letzten Beiträge habe ich mich gewundert, dass die Batterie noch keine Probleme gemacht hat. Ich bin bloß froh, dass mir das nicht mitten im Wald passiert ist.

In der Pension bitte ich um Hilfe. Der Innhaber kommt mit seinem großen Pickup-Truck angefahren, um mit seiner großen Batterie meiner kleinen Batterie Starthilfe zu geben. Ich denke: „Wenn, dann gleich richtig. Vielleicht schießt er mir gleich alle Sicherungen durch.“ Aber das Motorrad startet. Ich fahre ein paar Kilometer, um die Batterie etwas zu laden, merke aber bald, dass etwas nicht stimmt. Die Instrumente spielen verrückt. Der Drehzahlmesser schießt hoch, die Lichter blinken wie auf einem Christbaum, die Einspritzung funktioniert nicht, das Motorrad bockt. „Hervorragend!“
Ich fahre zurück zur Pension und bepacke das Motorrad. Der Innhaber gibt mir noch einmal Starthilfe und ich hoffe bloß, dass ich es die 70km zurück nach Talca zu einem Mechaniker schaffe.

Nach ein paar Kilometern beginnen die Instrumente wieder verrückt zu spielen, das Motorrad bockt erneut und hat Aussetzer. Nach ungefähr 15km verreckt es am Straßenrand. Ich schreie laut und wütend in meinen Helm. Hier gibt es vier oder fünf Häuser. Dort wo mein Motorrad aufgegeben hat, steht ein Einheimischer, José, in seinem Garten. Ich bitte ihn um Hilfe.

Er sagt, er kennt einen Mechaniker und telefoniert rum. Während wir warten, plaudern wir ein wenig, soweit es mein spanisch zulässt. Er erzählt mir von Chile, dass im Moment ein großer wirtschaftlicher Aufschwung stattfindet, dass es in der Atacama viele Rohstoffe und Minen gibt und auch hier Gold und Uran abgebaut wird. Ich erzähle von meiner Reise und von mir.

Mechaniker kommt keiner, auch nicht nach 1 1/2 Stunden und nachdem José mehrmals versucht hat ihn zu erreichen. Dann meint er, es ist wahrscheinlich besser einen Wagen zu organisieren und das Motorrad ungefähr 15 km weiter zu einem Mechaniker zu transportieren. Ich stimme zu .. welche Option hätte ich denn sonst. José schwingt sich auf sein Fahrrad und fährt los .. und ich .. ich warte.
Nach ungefähr einer Stunde kommt José mit einem alten gelben Pickup, einem Fahrer der noch viel älter ist und zwei jungen Burschen zurück. Ich entlade das Motorrad und wir packen es über eine Rampe auf die Ladefläche des Pickups. Bei langsamer Fahrt zum Mechaniker kann ich die Landschaft genießen, das grüne Tal, vorbei am Lake Colbun mit dem wunderbar türkisen Wasser.

Wir erreichen ein kleines Dorf, eher eine Ansammlung von Häusern und halten bei einem Mechaniker an. Zu sechst heben wir das Motorrad vom Pickup und schieben es in den Hof. Da stecke ich irgendwo und gebe mir Mühe zu kommunizieren. Die Werkstatt gehört Mauricio und seiner Frau Laura, sie sind etwa Mitte 30 und haben einen kleinen Sohn Joaquin, etwa 6 Jahre. Unterstützt wird Mauricio von seinem Bruder Santiago. Die Familie ist vor etwa 8 Monaten in dieses Dorf gezogen. Seit 6 Monaten haben sie das Grundstück. Das Haus ist eine einfache Holzhütte. Langsam mauern sie ein Haus drumherum.

Mauricio und seine Familie sind herzensgute Menschen. „Tranquillo“ (Ganz ruhig) bekomme ich in den 26 Stunden, die ich hier verbringe oft von Mauricio zu hören. Mauricio bedient noch ein paar Kunden, er sieht unter Motorhauben und repariert Kleinigkeiten, ich warte. Dann sieht er mein Motorrad an. Ich erkläre das Problem. Mauricio stellt fest, dass die Batterie kaputt ist.

Mit Santiago fahre ich nach Talca, die nächste größere Stadt etwa 40km entfernt, um eine neue Batterie zu kaufen. Das ist etwas schwierig, weil die Pole bei den Batterien, die lagernd sind, seitenverkehrt angebracht sind und somit nicht in meine Motorrad passen. Wir laufen durch mehrere Läden. Ein Händler kann die Batterie erst am nächsten Tag anbieten. Mit weiterfahren wird es heute also nichts mehr. Auf der Rückfahrt frage ich Santiago, ob es in dem Dorf Unterkunft gibt. Nein gibt es nicht, aber er fragt seinen Bruder, ob der jemand kennt.

Zurück im Dorf heißt es: „Tranquillo, das machen wir schon. Wir essen jetzt mal zu Abend, ich habe noch etwas zu tun, dann sehen wir weiter.“ So esse ich mit Mauricio, Laura, Santiago und Joaquin zu Abend. Draußen an einem kleinen Holztisch, der fast zu zerbrechen droht, erhalte ich einen Riesenteller Linsen mit Wurst. Mauricio arbeitet bis es dunkel wird. Er ist ein Tausendsassa, sieht unter die Motorhaube, analysiert, erkennt jedes Problem und behebt es in wenigen Minuten. Laura erzählt mir, dass die Leute aus der ganzen Gegend zu ihm kommen. Während Mauricio und sein Bruder arbeiten, unterhalte ich mich mit Laura. Erzähle woher ich komme, über Österreich, über meine Reise, … .

Etwas später am Abend kommen Verwandte vorbei. Ich kann bei ihnen übernachten. Nachdem Mauricio mit seiner Arbeit fertig ist, fahren wir zu den Verwandten. Es wird ein weiteres mal zu Abend gegessen. Im Fernseher läuft das Fußballspiel Brasilien gegen Chile. Chile verliert 2:1. Ich darf in einem der Betten im Zimmer der Söhne übernachten. Nachdem wir am nächsten Tag gefrühstückt haben, zeige ich im Internet noch woher ich komme und ein paar Dinge über Österreich. Bevor wir zu Mauricios Heim und Werkstatt fahren, verabschiede mich bei der Familie und möchte etwas Geld zurücklassen, werde aber daran gehindert.

Bei Mauricio kommen immer wieder Leute mit ihren Autos vorbei, oft sind es nur kleine Probleme. Ich sitze im Hof und sehe zu. Während die Leute darauf warten, dass Mauricio und Santiago das Problem beheben, umringen sie mich und fragen mich aus. Ich werde von jedem verabschiedet, per Handschlag, teilweise mit einer Umarmung, man wünscht mir gute Reise. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich so eine Herzlichkeit von fremden Personen erlebt habe, die ich gerade mal für eine paar Minuten kennengelernt habe.

vrnl / frtl Mauricio, Laura, Joaquin, Santiago, Juergen
vrnl / frtl Mauricio, Laura, Joaquin, Santiago, Juergen

Am frühen Nachmittag holen Santiago und ich die Batterie von Talca. Wir bauen zuerst nur mal die Batterie in das Motorrad ein und prüfen, ob alles funktioniert. Tadellos. Das Motorrad läuft und liefert Strom. „Tranquillo, jetzt essen wir mal und dann machen wir das Motorrad fertig.“ So esse ich ein weiteres mal mit der Familie, diesmal einen Riesen Teller Spaghetti. Mauricio freut sich unheimlich, dass er an einer BMW rumschrauben darf. Unser Treffen ist sowohl für mich, als auch für die Familie ein Ereignis. Laura fotografiert ihn, wie er die Batterie einbaut, alles anschließt und prüft. Während Laura und Mauricio Joaquin von der Schule abholen, bepacke ich das Motorrad und mache mich für die Abfahrt bereit. Ich frage, was ich schuldig bin. Mauricio möchte nichts haben. Das kriege ich nicht übers Herz. Ich wurde aufgenommen und verpflegt, man hat mir Unterkunft gegeben. Mit dem Vorwand aufs Klo zu müssen, gehe ich noch mal ins „Haus“ zurück und lasse etwas Geld liegen. Wir tauschen Kontaktdaten aus, machen noch ein paar Fotos und verabschieden uns herzlich.

Am späten Nachmittag fahre ich noch gut 300km. In einem Wintersportort etwa 70km östlich von Chillán mache ich Stop. In der Übergangszeit ist absolut nichts los. Der Schnee ist weg, die Wintergäste ebenso, das Wetter ist noch kalt, die Sommergäste lassen noch auf sich warten. Alles läuft auf Sparflamme. Die meisten Geschäfte und Unterkünfte sind geschlossen. Im großen Hostel gibt es nur zwei Bedienstete die arbeiten. Erneut komme ich mir vor, wie im Film „Shining“.

21.11.
Heute bleibe ich weitgehend auf der Panamericana und übernachte in Temuco, einer größeren Stadt, der Infrastruktur wegen. Ich habe zu wenig lange Socken für das kalte Wetter und auf das Postamt muss ich auch.

22.11., 23.11.
Ein 400km „Tagesausflug“ über Lonquimay nach Pucón. Nach einer kurzen Pause, wieder auf einer Schotterstraße bei der Abzweigung zum Vulkan Lonquimay, möchte ich das Motorrad starten. Geht nicht! Ich kriege einen Riesenschreck. Jürgen du Depp! Seitenständer hochklappen!
Nach Lonquimay biege ich rechts ab auf die 181, danach die R-95-S und S61. Es ist eine hervorragende Strecke durch eine wunderbare Landschaft. Gut 150km auf weitgehend guten Schotterstraßen auf denen man ab und zu auch mal 80kmh dahinbrettern kann, im Rückspiegel eine Staubwolke und ich werde vom Gegenverkehr eingestaubt. Der feine Staub kriecht in jede Ritze.

Es scheint gerade eine Oldtimer Rallye stattzufinden. Bei einer kurzen Pause rast ein Wagen an mir vorbei. Ich versuche ihn einzuholen, verliere ihn aber in einem Dorf, sehe dafür einen anderen und Organisationsfahrzeuge. Ich drehe ein paar Runden und versuche mehr zu finden. Es gelingt mir aber nicht und ich fahre weiter.

Pucón ist ein totales Touristen Dorf. Hostels und Tourorganisatoren an jeder Ecke. Es liegt am Villarrica See und es gibt den nahen Vulkan Villarrica. Aber ich brauche mal wieder Gleichgesinnte zum Unterhalten.
Im Hostel treffen ich auf ein irisches Mädchen, das ich schon in La Serena getroffen habe. Bei einem Spaziergang durch die Stadt treffe ich eine Holländerin, die ebenfalls in La Serena im Hostel war.

Als ich vorm Hostel mein Motorrad entlade bleibt ein Österreicher aus der Nähe von Braunau stehen. Er lebt seit gut 20 Jahren hier und verbringt jeweils den Sommer in Österreich und den Sommer hier. Bevor er weitergeht, sagt er: Morgen wird es regnen. Er erkennt es an den Wolken und sollte recht behalten. Heute regnet es.

Danke fürs Lesen, Jürgen.

P.S. Nicht jede Reise endet glücklich. Lauren und Adrian aus Australien, die ich in Bogota am Flughafen getroffen habe, wurde das Motorrad in San Carlos de Bariloche in Argentinien gestohlen. Nachdem die Diebe vergeblich versucht haben das Motorrad anzulaufen, haben sie es etwa 1 1/2 km weiter in den Straßengraben geworfen. Leider war das Motorrad auf eine Art beschädigt, dass eine Reparatur zu lange gedauert hätte. Lauren und Adrian waren 11 Tage vor Ushuaia und ein paar Tage mehr vor Buenos Aires und wären in Kürze nach Hause gereist.

Fotos Album Flickr


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